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Hartz IV fordert Zwangsumzüge für ALG-II EmpfängerInnen

Von Sebastian Müller

In den großen Städten des Ruhrgebiets ist über umfangreiche Zwangsumzüge aufgrund der Hartz IV-Wohnkostenregelung bisher nichts bekannt. Aber aus dem Kreis Unna und seiner ARGE, namentlich aus Lünen, wurde bekannt, dass sie es wohl eilig hatten, die Wohnkostengrenzen zu drücken und Anträge auf Wohnkostenzuschüsse negativ zu bescheiden. Schon im Januar 2005 musste sich ein Initiative aus Betroffenen gründen, um - unterstützt durch den Mieterverein für Dortmund und Umgebung - gegen negative Bescheide vorzugehen. 11 Fälle von nicht bewilligten Wohnkostenzuschüssen waren bekannt. So ist ein Ehepaar betroffen, dessen behinderter Sohn am Wochenende bei ihnen lebt. Für den Sohn hat das Ehepaar einen Raum mehr als die Hartzer der ARGE in Lünen erlaubten. Ähnlich ergeht es einer alleinerziehenden Mutter, die ihren kleinen Sohn möglicht oft bei sich haben will. Andere scheiterten an einer Miete, die 19 Euro zu hoch ist.

Scharfmacher wie Weichspüler der neuen "Zumutbarkeitsregel" für Wohnungen nach Hartz IV müssen das neue Sozialgesetzbuch umsetzen, das die Wohnkosten wie folgt festlegt:

"Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, sowie diese angemessen sind. Soweit Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des allein stehenden Hilfsbedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Bedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist. Durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate" (§ 22 Absatz 1 SGBII).

Damit ersetzt Hartz IV sowohl die Regelungen für bisherige SozialhilfeempfängerInnen als auch für bisher Wohngeldberechtigte. Für den Bereich Wohnen obliegt den Gemeinden die Umsetzung des Gesetzes. Sie müssen Ausführungsvorschriften erlassen, die "Angemessenheit" und "Zumutbarkeit" klarer und handhabbar für die Arbeits- bzw. Sozialverwaltungen definieren. Die harte und unzumutbare Lünener Praxis ist vermutlich durch eine solche Vorschrift gedeckt. Dortmund, so hört man, drückt sich noch davor. Niemand muss umziehen, eine Mietobergrenze von 6 Euro wird als Richtwert gesehen, aber nicht sklavisch eingefordert. Sozialdezernent Pogadel (SPD) meint, es fehlten sowieso die kleinen Wohnungen auf dem Dortmunder Wohnungsmarkt, in die die ALG II Bezieher umziehen könnten; man warte die Ergebnisse im sog. Revisionsverfahren des SGB II ab, in dem sicher die strittige Finanzierung der Unterkunftskosten zur Sprache kämen, usw.. Am 6. Dezember steht aber doch eine Ausführungsvorschrift auf der Tagesordnung des Sozialausschusses. Der Inhalt ist unbekannt.

Ausführlich ist aber schon in Bochum diskutiert und im Rat beschlossen worden, nachdem zunächst ein Moratorium für Juni galt. Die Bochumer (rot-grün) gehen den Weg, alles im Einzelfall regeln zu lassen und die Zumutbarkeit von Umzügen für eine Reihe von Standardfällen auszuschließen. Sie gehen davon aus, dass es sowieso nicht mehr als 800 Fälle wären, die zur Zeit die Regelgrenzen überschreiten. Bochum regelt: Kein erzwungener Umzug bei Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Schwangerschaften, Elternzeit und bei Renteneintritt. Mietobergrenzen können um 40 Euro oder 10% überschritten werden, weil ein Umzug in dem Fall nicht wirtschaftlicher für die ARGE wäre. In all diesen Fällen soll "wegen individueller Gründe oder Unwirtschaftlichkeit des Umzugs von einer Aufforderung zur Senkung unangemessener Unterkunftskosten abgesehen werden".

Eine grundsätzliche Kritik an der Regelung der Wohnkosten durch das SGB II bei den Beziehern von Arbeitslosengeld II findet sich aber auch dort nicht, obwohl sie notwendig wäre. Bei aller Großzügigkeit ist nicht darüber hinweg zu sehen, dass durch Hartz IV auch für die Bezieher von Wohngeld ein Paradigmenwechsel vollzogen wurde. Die lange Zeit in der BRD angestrebte Entkopplung von Einkommen und Wohnungsversorgung wird aufgekündigt. Es geht nicht mehr darum, den einkommensschwächeren Haushalten einen Zuschuss für eine (fast) beliebige Wohnung zu gewähren und damit die Wahl des Wohnorts und der Ausstattung zumindest ein Stück weit von der individuellen Einkommenssituation abzulösen. Im Gegenteil: Hartz IV schränkt bereits in der Logik von Bemessungsgrenzen für die Wohnkosten die Auswahlmöglichkeiten einer Wohnung ein. Auch die Betroffenen müssen die Perspektive wechseln. Statt der Frage, "wie viel Wohnung kann ich bei meinem gegenwärtigen Einkommen erwarten?" stellt sich nun die Frage "Wie viel Wohnung darf ich mir noch leisten"? So gutmütig Bochum zu handeln versucht: An diesem "Muss" wird auch die Bochumer Interpretation des § 22 Absatz nichts ändern können. Ein kommunaler Aufstand, auch nicht ein kleiner, gegen einen nun autoritären und nur eingeschränkt sozial-neoliberalen Staat ist das nicht.

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