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Inszenierter Fortschritt. Die Emscherregion und ihre Bauausstellung

Das Editorial

Dortmund, August 1999
Rita Herrmann und Sebastian Müller (Hrsg.)

Im Emscherraum des Ruhrgebiets soll angeblich ein neuer Phönix aus der Asche steigen. Wunderbare Umstrukturierungen der altindustriellen Werkstatt der Nation und im Subventionen fressenden Kohlenpott sollen vor sich gehen. Und ebenfalls wunderbare Werke der Architektur, großartige Industrielandschaften und Kunstereignisse hätten in den letzten zehn Jahren die Region verwandelt. Für das erste steht das Oberhausener CentrO, die 70 000 qm Shoppingmall, darüber hinaus Europas größtes "Mixt-use-Projekt". Nicht nur Einkaufszentrum, sondern ein wahrhaftiges Freizeitzentrum mit Arena, Musical "Tabaluga" von Peter Maffei, einem Themenpark für Kinder, einem Restaurant-Boulevard mit Wasserfront und einem Multiplex-Kino der Warner Brothers. Für das zweite werden beispielsweise die Akademie des Innenministers von Jourda in Herne-Sodingen, insgesamt die Projekte der Internationalen Bauausstellung Emscherpark angeführt. Beide Projektlinien greifen auf die riesenhaften Stadt-Löcher und no-go-areas zu, die Kohle- und Stahlindustrie gleich zwei mal ins Gefüge der Emscherregion gerissen hatten: einmal bei ihrem Einzug und noch einmal bei ihrem Abzug. Industriebrache wird erneut in Wert gesetzt.

In der Tat markieren solche Projekte eine spektakulären Paradigmenwechsel der Wirtschaftsgeographie und der markanten Raumfiguren in der Emscherregion. Auch Grundthemen der regionalpolitischen Debatte werden ausgetauscht: Statt der Bewältigung von Modernitätsdefiziten der Ruhrgebietsindustrie ist jetzt wichtig, die Region in das internationale Netz von konsumorientierten Dienstleistungen, von Bildproduktion für Imageträger der Postmodernität und des Kapitals für Freizeit und Unterhaltung einzuloggen.

Aber ob das wunderbar ist, steht sehr in Frage. Die AutorInnen dieses Buches argumentieren für Bedenklichkeit und insgesamt mehr Differnzierung und sorgfältiger argumentierte Bewertungsgrundlagen für den behaupteten Fortschritt. Sie halten den Fortschritt im Emscherraum eher für inszeniert denn für wirklich eingetreten oder gar nachhaltig. Sie halten es weder für theoretisch korrekt noch für regionalpolitisch zweckmäßig, wenn die Dimensionen einer ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Erneuerung der Region beliebig als Ettikett vergeben werden und rhetorisch verkommen. Insbesondere die IBA Emscherpark hat doch beansprucht, ein gesamtregionales Entwicklungsprogramm der Emscherregion mit diesen Zielsetzungen zu sein - mit Modelldimension auch für andere altindustrieller Strukturen. Was ist daraus nach 10 Jahren Arbeit an der Region geworden?

Möglichkeiten und Grenzen anspruchsvoller Regional- und Raumentwicklung sind heute überhaupt nur vor dem Hintergrund globaler Wirtschaftsentwicklung und nationaler Regulationspotentiale zu begreifen. Diese Erkenntnis verliert sich merkwürdiger Weise eben in der Region, die durch die internationalen Konjunkturen von Kohle und Stahl und den dafür ebenso weltweit operierenden Montankonzernen geprägt worden ist. Statt dessen wird die Wirkungsmächtigkeit von Micro-Projekten behauptet, die mögen Musical-House X, Wissenschaftspark Gelsenkirchen oder Gasometer Oberhausen heißen. Den AutorInnen dieses Bandes sind drei Aspekte insbesondere wichtig:

1. Ökonomisch gerät aus dem Blick, dass alle Projekte Trendwenden weder im Investitionsklima

noch in der hohen Arbeitslosigkeit der Region herbeiführen konnten. Im Gegenteil muss festgestellt werden, dass der ökonomische Rückzug aus der Region sich beschleunigt hat: Statt einzelne Betriebsschließungen und Ausgliederungsmaßnahmen, wie in den siebziger und achtziger Jahren, vozunehmen, sind die Montankonzerne in den Neunzigern zur Stillegung ganzer Standorte übergegangen. Nach Rheinhausen und Hattingen wurde der Kohle-Stahl-Verbund in Oberhausen abgeräumt und Dortmund wird, wenn die Zeichen nicht trügen, demnächst folgen. Die Regionale Ökonomie hat Alleinstellung von nationaler Ausstrahlung weder erhalten können noch wieder erreicht - außer in einem gewissen Umfang in CentrO oder Warner Brothers Moviepark. Im Gegenteil : Sie steht nun in scharfer Konkurrenz zu den Billig-Lohn-Ökonomien Osteuropas. Die großorganisierte Wohnungswirtschaft zieht sich aus der Region mehr und mehr zurück. Es deutet sich an, dass das Geschlechterverhältnis einer ehemals männerdominierten Arbeit sich grundlegend austauscht, das in Deutschland übliche Lohngefälle zwischen Männer- und Frauenlöhnen nutzend.

Angesichts solcher Abwärtsentwicklung relativiert sich der Ansiedlungserfolg der Micro-Projekte und stellt sich jetzt ein Patchwork ein, in dem wenige dynamische ökonomische Aktivtäten und relative Prosperität unmittelbar neben vielen Unternehmen im Niedergang auftreten, einzelne hervorragende Wohnprojekte neben dem anonymen Niedrigstandard-Heer des Massenwohnungsbaus der fünfziger und sechziger Jahre, herausragende Beispiele denkmalsgepflegter Hochkultur in einem Meer von niedrigpreisiger Kommerzkultur- mit der Tendenz zur Polarisierung.

Regionalpolitisch bleibt festzustellen, daß nicht die Geschicklichkeit in der Kombination verschiedenster Töpfe der öffentlichen Mittelvergabe Erfolgskriterium der Regionalentwicklung ist, sondern erstens die Höhe der öffentlichen Mittel von Bedeutung ist und zweitens, wofür die Mittel verwendet werden. Drittens aber wird über ökonomisch mögliche Synergien, über das Niveau von Beschäftigung und Verteilungsgerechtigkeit sowie über akzeptable Umweltqualiten nach wie vor in erster Linie im nationalen und europäischen Regulationssystem entschieden.

2. Selbst wenn unterschiedliche Menschen und soziale Milieus unterschiedlich darüber urteilen,

was ästhetisch schön oder erhaben ist, so ist doch selbstverständlich nichts dagegen einzuwenden, dass sich Städtebauer, Architekten und Designer um ästhetischen Ausdruck in einer Regionalentwicklung bemühen. Dass aber Ästhetik und die Produktion von Images und Bildern die Internationale Bauausstellung Emscherpark vorrangig zu bestimmen beginnt, muss den Verdacht wecken, es gehe ihr eher um Regionaldesign als um Regionalentwicklung. Es trifft ja nicht zu, wenn behauptet wird, dass jetzt endlich die Region ästhetischen Ausdruck hat und mit dem Wahrnehmenbaren Emotionen wecke. Industrielle Architektur und Geographie des Ruhrgebiets weckten schon immer starke, wenn auch zwiespältige Emotionen.

Jetzt freilich lenken durch ästhetische Überaufladung Landschaftsarchitekturen und Hochbauten von ihren Inhalten und Widersprüchen ab und - was noch wichtiger ist - von ihrer Umgebung. Die architektonischen Highlits lassen sich durch beliebige Thematisierungsstrategien zu Erlebnisketten zusammenstecken. Der Zwischenraum oder die Zwischenstadt versinkt, obwohl quantiativ ungleich bedeutsamer, zur Bedeutungslosigkeit. Behübschte, weil noch einmal modernisierte oder die wenigen neu gebauten Arbeitersiedlungen werden zu einer virtuellen Siedlungsregion zusammen fotografiert. Mental kann ein Katalog von "Arbeiten-im-Park"-Projekten zusamengestellt werden. Zum Abfahren angeboten wird eine Route der "Industriekultur", in Absehung von der Industrie-Unkultur, und eine Route der "Landmarken" in Absehung vom historischen wie dem tagtäglichen Zusammenbruch und Abverkauf von Landschaft in der Emscherregion.

Dadurch, dass die Hinterlassenschaften altindustrieller Anlagen hübsch gemacht und mit Lite-Shows erhabener gemacht werden, zeigen sich Produktions- und Arbeitsorte, Abraumhalden und industrielle Ruinen in fremder Sicht. Die Bilder klären nicht auf, sondern romantisieren. Der Alltag von Arbeitsqual, Ausbeutung, ökologischen Katastrophen und ökonomischen Aneignungsregimen verschwindet. Die Sachen werden auf ästhetische Weise verdinglicht und entziehen sich der Legitimation ihrer ehemaligen Funktionszusammenhänge. Regionalpolitisch entbrennt damit ein ungleicher Kampf um Aneignung der Region und um regionale Identiät. Statt dass die Anwohner tatsächlich zur "Rückgewinung von Landschaft" (IBA) und von Geländen für ihre Bedürfnisse und entsprechend ihrer Einstellungen gelangen können, wird hauptsächlich die Produktion von Landschaft und die Herstellung von mächtigen Bildern betrieben, die Legende von den in großen und edlen Maßstäben denkenden Kohle- und Stahlbaronen in die Zukunft fortspinnt.

3. Der Blick auf die steigenden Wohngeldzahlungen in der Region und auf die Zunahme all der

kleinen und größeren Lokalökonomie-, Sozial- und Soziokulturprojekte der Region zeigt: die Armutspotentiale der Region breiten sich aus. Es wird uns das Loblied der neuen lokalen Partnerschaften gesungen und neuerdings darauf gedrungen, dass sich die Projekte der Initiativen anteilmäßig vermehrt am Markt beweisen und finanzieren müßten. Was sich als so neuartig gibt, kann kaum besser als mit den Erfahrungen aus der US-amerikanischen Agglomeration um Los Angeles kommentiert werden:

"Es ist heutzutage sehr beliebt, die Selbstermächtigung der communities zu loben und die früheren dinosaurerhaften Megaprojekte des Bundes zu geißeln, aber hier lassen sich die Größenordnungen überhaupt nicht vergleichen. Selbst wenn alle ihre wildesten Träume finanziert würden, könnten die gemeinnützigen Wohnungsbauer von Los Angeles zum Beispiel nur wenig dagegen ausrichten, daß Wohnungen kaum noch bezahlbar sind und die Obdachlosigkeit überhand nimmt. Genausowenig lassen sich durch den Abzug von Auto- und Flugzeugfabriken ausgehölte Stadtteile durch zusätzliche Manikürsalons, Imbißfilialen und Grußkarten-Läden reindustrialisieren. Und genausowenig werden die meisten arbeitslosen Jugendlichen von Southcentral oder Mid-City glückliche Microunternehmer werden und die Hymne von Rebuild L.A. singen, während sie Turnschuhe und T-Shirts an Straßenecken verkaufen. Kurz gesagt, ist das die Politik des schönen Scheins" (Mike Davis 1994, S. 486).

Auch wenn die Emscherregion nicht die Tiefe der Krise und die Tiefe der sozialen Spaltung der Stadtregion Los Angeles kennt, so besteht gerade vor dem Hintergrund von Ruhrgebietserfahrungen mit den langdauernden staatlichen Programmen, den großen Subventionszahlungen und den äußerst auskömmlichen Bergbaurenten für die Regionalpolitik in der Emscherregion kein Grund, in ein Loblieb vom heilsamen Zwang der Sparpolitik in den öffentlichen Haushalten und von der Geschicklichkeit der P.P.P.-Politikmodelle einzustimmen. So bedeutsam die Entwicklung endogener Potentiale und die Ausweitung und Stärkung bürgerschaftlicher Mitwirkung aus demokratischen Erwägungen heraus auch sein mögen. Von größerer Wichtigkeit wäre die Regulierung der Mindesteinkommen und die Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeiten und vor allem die Sicherung, Erhaltung und Erneuerung eines ordentlichen öffentlichen Sektors der Ökonomie.

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