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Die Ratspräsidentschaft Frankreichs in der EU lässt nichts Gutes erwarten - auch nicht in Fragen der Stadtentwicklung
(9. Juni 2008)

Frankreich übernimmt im Juli die Ratspräsidentschaft. Im Rahmen der deutschen EU-Rats-Präsidentschaft 2006-2007 wurden am 27. Mai 2007 zwei politische Strategiedokumente zum so genannten wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt / der Kohäsion Europas beschlossen, eine Territoriale Agenda und eine Leipzig Charta zur nachhaltigen Europäischen Stadt. Diese Dokumente zielten darauf, den Zugriff der EU auf die Entwicklung ihrer Großstädte in die Wege zu leiten. Es ist zu erwarten, dass Frankreich und seine Regierung den Zugriff verschärfen werden.

Mit der Territoriale Agenda und Leipzig Charta 2007 sollte Stadtentwicklung in Europa mit dem Lissabon-Konzept der Europäischen Union harmonisiert werden, um die EU als erfolgreichere Konkurrentin auf globalen, neoliberalisierten Märkten positionieren zu können. Befürchten muss man leider von der französischen Ratspräsidentschaft in der Stadtpolitik katastrophale Vertiefung dieser Orientierung, die die französische Regierung bereits in Paris exekutiert: Wohnungsnotstände, protestierende Obdachlose und Immigranten, vernachlässigte und im Aufstand befindliche Vorstädte, kurz die Verschärfung von sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Auseinandersetzung in der Stadt - und ein paar Euro für diese Politik von der EU oben drauf. Zu fürchten sind auch eine Entdemokratisierung von Kommunalpolitik und der Rückschnitt und die Privatisierung öffentlicher Wohnungsversorgung, d.h. Ausschluss größerer Teile der europäischen Bevölkerung davon und von kaum noch bezahlbaren allgemeinen Dienstleistungen wie angemessener Energieversorgung, Müllabfuhr, Straßenreinigung, Service von Bus und Bahn.

Mittlerweile wurde verabredungsgemäß auf der Ebene der Konferenzen der Europäischen Minister für Raumordnung, Regionalplanung und Stadtentwicklung die Diskussion über den Aktionsplan zur Umsetzung der Beschlüsse von Leipzig begonnen. Deutlicher als in Leipzig hat sich nun auch der deutsche Minister für Raumordnung jetzt auf die Seite der Lissabon-Wende geschlagen. Minister Tiefensee (SPD), stellt in Frage, ob EU überhaupt in Zukunft noch mit Regionalmitteln Krankenhäuser, Gründerzentren oder Autobahnen bauen solle - unter Verzicht auf Maßnahmen der Unternehmensförderung. Man ahnt, wohin die Reise gehen soll und dass es dabei kein Veto Deutschlands geben wird.

2007 haben die Dokumente von Leipzig, nach Auskünften aus der Präsidentschaft der Leipzig Konferenz, dem Bundes-Ministerium für Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung 200 kritische Stellungnahmen provoziert. Auch eine Demonstration in Leipzig mit 2000 Teilnehmern reagierte, und zwar kritisch. Dieser Widerstand könnte sich über das Europäische Sozialforum in Malmö und die deutschen Planerverbände verbreitern. Mit Knut Unger arbeite ich derzeit an einer ausführlichen Kritik der Leipzig Charta, die wir als integralen Bestandteil der Lissabon Strategie dekonstruieren. Sie ist leider nicht, wie sich das die städtebauliche und kommunalpolitische Community erträumt, nämlich der Gegenentwurf dazu.