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Weiterbau des 1050 MW-Kohlekraftwerks Datteln IV - Grüne Zielabweichung?
(12. November 2010)

Die Vorgeschichte

Der Landtagsbeschluss, der 2009 auf Initiative der Regierung Rüttgers den § 26 aus dem Gesetz zum Landesentwicklungsprogramm NRW hebelte, war ein maximal deutliches Signal. Der Energieversorger E.ON hatte das Scheitern seines 1055-Megawatt-Kohlekraftwerksprojektes in Datteln am obersten deutschen Verwaltungsgericht nicht hingenommen, obwohl die Richter dem Projekt, ausgezeichnet begründet, massenhafte und tiefgreifende Planungs- und Abwägungsfehler bescheinigten. E.ON suchte intensiv nach Möglichkeiten, das angefangene und dann gerichtlich gestoppte Projekt weiter zu bauen, hatte dann mit der Streichung des § 26 LEPro eine Generalabsolution für klimapolitische Abstinenz der Landesregierung und der Energieversorger gefunden und mit dem Landtagsbeschluss, auch für das Kohlekraftwerk Datteln, in der Hand.

Denn der § 26 LEPro hatte verlangt, Entwicklungspläne des Landes NRW an eine umweltverträgliche Energieversorgung, den Einsatz Erneuerbarer Energien und die Ausschöpfung der Möglichkeiten von Kraft-Wärme-Kopplung zu binden.

Nach dem Wegfall des § 26 LEPro hätte der Regionalplan auf das Baugelände und das Bauprojekt, vielleicht mit ein paar nachrangigen Schutzauflagen für das FFH-Schutzgebiet der Lippeauen oder der Abstände zur Wohnbebauung hin, geändert werden können. Und ein neuer B-Plan der Stadt Datteln, diesmal verfahrensfehlerfrei und vielleicht sorgfältiger abgewogen, hätte den Ball der Regionalplanung aufnehmen und den Weiterbau der Mega-CO2-Schleuder Datteln IV möglich machen können. 0,73% des bundesweit zur Verfügung stehenden CO2-Kontingents soll allein dies Kraftwerk - nach Angaben von E.ON - in Anspruch nehmen.

So wird es aber wohl nicht mehr gehen. Jetzt, Ende des Jahres 2010, haben wir eine rot-grüne Landesregierung, die mit einer Koalitionsvereinbarung (auf der Seite 27) ihre Absicht bekundet hat, den § 26 "in der bewährten Fassung wieder in das LEPro" einzufügen. Außerdem legte sich Rot-grün (auf Seite 32f.) fest, für das E.ON-Kraftwerk in Datteln nur insofern "Vertrauensschutz" zu gewährleisten, als das Projekt durch die rot-grüne Landesregierung mit ihren neuen, ehrgeizigen Klimaschutzzielen landesrechtlich nicht schlechter behandelt werden solle "als zum Zeitpunkt der Antragstellung". Der Zeitpunkt lag weit vor der Rüttgers-Streichung von § 26, aber auch nicht so weit zurück, dass es den § 26 mit seiner Bindung der Landes- und Regionalplanung an eine Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und an umweltgerechte Energieerzeugung nicht gegeben hätte. Die alte E.ON-Strategie wird deswegen mit der neuen Landesregierung nicht aufgehen, wenn man diese rot-grüne Regierung nicht zum Aufgeben der Koalitionsvereinbarung an zwei Punkten bringen kann. Das ist aber ein eher unwahrscheinlicher Fall.

Kommt ein Zielabweichungsverfahren?

E.ON verfolgt deswegen den Weiterbau von Datteln IV nach allem, was davon derzeit nach außen dringt oder zeitungsmäßig publik wird, nun mit einem regionalplanerischen Zielabweichungsverfahren. Das ist ein vereinfachtes Verfahren der Änderung eines Regionalplans nach § 24 Landesplanungsgesetz. Darüber wird und muss alleine die Regionalplanungsbehörde - hier des Ruhrgebiets - entscheiden. Politischen Gremien wie ein Regionalrat oder die Landesregierung können darüber nicht entscheiden. E.ON kann als eine "Person des Privatrechts, die die Ziele der Raumordnung zu beachten" hat (§ 24 (2) LPlG), ohne weiteres einen Antrag auf Zielabweichung stellen. Die Regionalplanungsbehörde muss den Antrag prüfen, kann ihm folgen, aber durchaus auch zu dem Schluss kommen, dass der Antrag gegen geltendes Recht grob verstößt und deswegen abschlägig beschieden werden muss.

Die Rolle von Landesregierung und Regionalrat im Zielabweichungsverfahren ist nicht die der Entscheider. Sie sind vielmehr Beteiligte am Verfahren - der Regionalrat direkt und die Landesregierung indirekt durch fachlich betroffenen Behörden -, die durch ihren Konsens untereinander in der Sache und mit der örtlich zuständigen Gemeinde, eine wesentliche Voraussetzung für die Entscheidung der Regionalplanungsbehörde, - hier also die Voraussetzung der Entscheidung des Planungsdezernenten des RVR, schaffen. Die 'fachlich berührten Behörden und Stellen' und der Regionalrat haben ihr "Einvernehmen" zu erklären. Die Voraussetzung, mit den fachlich berührten Behörden etc. ein Einvernehmen herzustellen, führt im Ergebnis aber dazu, dass die Abweichungsentscheidung nur im völligen Einverständnis mit den Beteiligungsbefugten geht. Eine Entscheidung ist ohne ihre Zustimmung nicht möglich.

Schon der Beschluss eines einzigen Beteiligten, er könne sein Benehmen für die Zielabweichung im Regionalplan durch Datteln IV nicht erklären, müsste also zur Beendigung des Zielabweichungsverfahren führen. Denn das ist der Wortlaut des erste Satzes des § 24 LPlG zum Zielabweichungsverfahren: "Abweichungen von Zielen der Raumordnung, die die Grundzüge der Planung nicht berühren, können im Einzelfall ohne Durchführung eines Planänderungsverfahrens zugelassen werden, bei Regionalplänen im Einvernehmen mit dem Regionalrat, mit den fachlich betroffenen Behörden und Stellen und der Belegenheitsgemeinde ...".

Offensichtlich hatte der Gesetzgeber nur marginale Änderungen eines Raumordnung- oder Regionalplans im Auge, über die sich die Beteiligten leicht einigen können würden, für die er Zielabweichung möglich machen wollte, nicht aber Vorhaben von der Größenordnung und Bedeutung des Kohlekraftwerks Datteln IV. Das zeigt auch die zweite Bedingung, unter deren Voraussetzung Zielabweichung zugelassen werden kann, nämlich dass Projekte "die die Grundzüge der Planung nicht berühren".

Standortentscheidungen der Regionalplanung sind - nach allgemeiner Meinung - den Aufgaben und Leitvorstellungen einer nachhaltigen Raumentwicklung verpflichtet, wirtschaftliche Nutzungsansprüche, Klimaschutz und ökologische Ansprüche räumlich so in Einklang zu bringen, wie das das Landesentwicklungsprogramm NRW vorsieht. Diese Steuerungsfunktion prägt Gegenstand und Inhalt des regionalplanerischen Abwägungsprogramms. Auch für die Zielabweichung von Regionalplänen muss davon ausgegangen werden, dass sie durch voraus gegangene Abwägung entstandene Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Raumordnungszielen und den Ausgleich der Interessen in der Grundkonzeption der gesamten Landesplanung nicht ins Wanken bringt oder gar zerstört.

Im Gegensatz zur Planänderung müssen bei der Zielabweichung die Festsetzungen des Landesentwicklungsprogramms NRW eben "unberührt" bleiben. Es wird einem Vorhabenträger lediglich ermöglicht, für den konkreten Fall von der Zielaussage ein wenig abzurücken. Je deutlicher sich die Abweichung von der Zielaussage unterscheidet, desto eher sind die Grundzüge der Planung berührt. Würde eine Zielabweichung von der Größenordnung von Datteln IV zugelassen, wären nach meiner Auffassung die klimapolitischen Ziele des § 26 LEPro für die Energieerzeugung so gut wie vollständig konterkariert - mit der Folge, dass die Grenze der "Grundzüge der Planung" des LEPro erreicht wären. Wuppertalinstitut und der BUND könnten diese Auffassung sicher mit den einschlägigen Berechnungen für die Emission von CO2 von Energieerzeugungsanlagen in NRW hinterfüttern.

Unter den klimapolitischen Perspektiven der Koalitionsvereinbarung von 2010, die ehrgeizigere Minderungsziele verfolgt als der § 26 LEPro, wäre ein 1055 MW-Kohlekraftwerk unter gar keinen Umständen mehr, auch nicht in einem Planänderungsverfahren, genehmigungsfähig.

E.ON wird die Auffassung vertreten, dass ihr 1050 MW-Kohlekraftwerk die Grundzüge der Landes- und Regionalplanung für Datteln und Umgebung unter Einschluss des § 26 LEPro offensichtlich nicht berühre, weil die Regionalplanung Münster bei Antragstellung 2006 ihr ok. für das Projekt besorgt hätte - durch die 4. Änderung des GEP, Teilabschnitt Emscher-Lippe - und Landesbehörden das damals nicht beanstandet hätten. Das kann aber daraus nicht geschlossen werden. Es können durchaus falsche Entscheidungen von beiden getroffen worden sein, und es hat sie damals nur niemand Befugtes beanstandet. Der Landwirt, der gegen den Kraftwerksbau klagte, war damals der Meinung, dass falsche Entscheidungen getroffen worden sind, konnte aber nicht gegen den Regionalplan (und seine Änderungen), sondern nur gegen den Dattelner B-Plan klagen.

Interessanter Weise haben die Richter im Normenkontrollverfahren des Klägers jedoch nicht allein zum Dattelner B-Plan 105 Stellung bezogen und ihn für ungültig erklärt. Es wird bisher leider zumeist übersehen, dass das Datteln-Urteil vom 03.09.2009 umfangreich auch zu Regionalplanung und Landesplanung Stellung genommen hat.

Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen

Diese letzte Anregung halte ich jedoch nach allem, was ich dazu aus der kommentierenden Literatur dazu weiß, für nicht richtig. Die Gründe sind weiter oben genannt. E.ON wird ihren Antrag auf Zielabweichung aus planungspolitischen Gründen sicher auf diese Passage des Datteln-Urteils beziehen.

Festzuhalten ist aber aus meiner Sicht:

"Heilen" kann man durch ein zurecht geschustertes Zielabweichungsverfahren die Unwirksamkeit der 4. Änderung des LEP, Teilplan Emscher-Lippe nicht. Dazu habe ich oben weiter ausholen müssen und seine Bedeutung als Mittel für kleinere, vorhabenbezogene Korrekturen der Raumordnung und Regionalplanung darstellen müssen. Der Fall Datteln eignet sich eben für ein solches Zielabweichungsverfahren nicht.

Aus heutiger Sicht wird mit dem Vorhaben des Kohlekraftwerks eindeutig gegen § 26 LEPro verstoßen, der durch seine Reihung von Anforderungen erkennen lässt, dass der CO2-Ausstoß von Kohlemeilern als ein schwerwiegendes umweltpolitisches Problem vom Gesetzgeber erkannt worden war und zur CO2-Minderung beitragen sollte. Und § 26 LEPro ist u.a. die landesplanerische Rechtsgrundlage, auf der nach der Koalitionsvereinbarung und dem Vertrauensschutz, der darin fixiert wurde, auch heute über eine Zielabweichung zu entscheiden wäre.

Der Baustopp für das Kohlekraftwerk Datteln steht. Es ist eine Ente, dass E.ON vor Gericht versucht, wie die Rheinische Post meint, die juristisch gestoppte Fertigstellung des 1,2 Milliarden Projekts vor Gericht zu erstreiten. E.ON kann das wohl doch nicht so richtig. Da wäre es natürlich interessant, wenn man der Klimaschutz-Partei anhängen könnte, sie kungele derzeit in Nordrhein-Westfalen und dem Ruhrgebiet durch ihr Führungspersonal an einer "Heilung" der Klatsche herum, die sich E.ON als Betreiber des Projekts und die Stadt Datteln als Gefälligkeitsplaner für die widerrechtliche Genehmigung des Super-Kohlekraftwerks Datteln IV vor dem Oberverwaltungsgericht abholen mussten.

Langweilig aber richtig ist: Weder ist bisher die rot-grüne Minderheitsregierung auf dem Weg, ihrem "Vordenker" Harry K. Voigtsberger, Superminister für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr , zu folgen, der sich jüngst zum Kraftwerksbau in Datteln bekannte und den Kohlenmeiler als "einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz" umzuetikettieren versuchte. Sie ließ ihn ins Leere laufen. Meinem Freund, dem durchaus bis dato sehr verdienstvollen grünen Chef der Planung im RVR, Thomas Rommelspacher, blüht Ähnliches. Er denkt zwar über ein angeblich unabweisbares regionalplanerisches "Zielabweichungsverfahren" zu Gunsten des Weiterbaus nach, er findet aber dafür weder bei den Grünen in Datteln und Waltrop oder im Ruhrgebiet, noch bei der grünen oder roten Fraktion in der Verbandsversammlung Unterstützung.

Ich halte ein Zielabweichungsverfahren für den Weiterbau von Datteln IV für versuchten Mord am Klimaschutz in NRW, eine Einladung zum Selbstmord der nordrhein-westfälischen Grünen und für ein juristisches Unding. Mein Rat an die "Beteiligten", wenn es doch kommen sollte: Das "Benehmen" mit der Regionalplanungsbehörde verweigern, - und eben dies zu Protokoll zu geben.