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E.ON meint: politischer Spielraum für Alternativen zum Weiterbau von Datteln IV gleich Null - Datteln-Urteil von 2009 barer Unsinn
(17. März 2011)
Zur Zeit, so lässt sich vermuten, beschäftigt die Konzernzentrale von E.ON das dreimonatige Moratorium für Atomkraftwerksrestlaufzeiten und das Abschalten von sieben AKW in Deutschland, das die Bundeskanzlerin vor drei Tagen verkündet hat, stärker als der Weiterbau des Kohlenmeilers bei Datteln. Alle Atomkraftwerke, die vor 1980 errichtet wurden, sollen, sagte die Kanzlerin Angela Merkel, "für die Zeit des Moratoriums außer Betrieb gehen", wenn sie nicht schon still stehen wie Neckarwestheim, Brunsbüttel oder Krümmel. Unterweser, Biblis A und B, Philippsburg 1, Isar 1 laufen noch, das sind Kraftwerke, denen noch im November letzten Jahres längere Restlaufzeiten von acht Jahren per Atomgesetz zugesprochen worden waren. E.ON gehört z.B. Isar I. Deswegen hört man zu Datteln IV nichts Neues.
Kommt noch hinzu, dass im RVR, wo E.ON für eine 7. Änderung des Regionalplans Emscher-Lippe für Datteln und zu Gunsten ihres Kohlekraftwerks Datteln IV vorstellig geworden war, aktuell auch so ein Moratorium läuft. Hier hatte die Verbandsversammlung beschlossen, sich auf das Änderungsverfahren einzulassen, zugleich sich aber dies Moratorium, eine Denkpause, ausbedungen, bis ein Gutachten zur Vorgehensweise für diese Änderung vorliegt. Das bisher vorgesehene Vorgehen mit zwei sog. Zielabweichungsverfahren erschien der Versammlungsmehrheit blümerant. Mitte April, heißt es, wird das Gutachten wohl vorliegen.
Es liegt aber noch viel altes Material auf dem Tisch, zu dem man einige Sätze verlieren muss. Über 1000 Seiten Antragsmaterial hat E.ON ihrem Vorschlag beigefügt, jetzt den Regionalplan Emscher-Lippe zu ändern. Ein dickes Paket Papier und Expertise also, mit dem man politisch klar kommen muss, bis die Denkpause zu Ende ist und das Verfahren wieder los geht. Die Interessen E.ONs sind klar: Rund 1 Milliarde Euro sind in Datteln IV investiert, die kann man nicht klaglos schlicht abschreiben, sondern man muss den Neubau weiter voran bringen. Jetzt erst recht. Aber hat E.ON für den Weiterbau in seinem Antragsmaterial auch neue Argumente? Ich meine ja und nein. Und was ist der Kern der Argumente?
Völlig neu ist die Argumentationsschiene, die durch ein energiewirtschaftliches Gutachten von Prognos in diesem Material aufgemacht wird, nicht. Alt ist daran nicht nur der ermüdende, aber natürlich super vollständige Unterricht über Energieprognosen und Stromerzeugung aller einigermaßen bekannten Verstromungsvarianten von Biogülle über Erdgas bis Steinkohle. Die Rechtfertigung von Datteln IV über angebliche nationale Stromversorgungslücken ist so wackeling, wie so etwas eben ist. Solche Lücken hängen angeblich einzig von der politisch gewünschten Laufzeitverkürzung oder Laufzeitverlängerung deutscher AKWs ab. Wie wackelig eben das ist, ist mit dem "Moratorium" nach den Japankatastrophen deutlich spürbar. Ein Aufreger ist das nicht. Noch älter fühlt sich das Ergebnis des Gutachtens an, das nach meinem Eindruck auf den Kern der E.ON-Argumentation zusteuert, - das Gutachten zur "Verträglichkeit des Kraftwerksneubaus Datteln mit den Klimaschutzzielen des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen".
Das Gutachten von E.ON kommt ohne Wenn und Aber zu dem Schluss, dass der Kraftwerksbau in Datteln die Klimaschutzstrategie und Energiestrategie NRWs unterstützt und nicht torpediert. Wer hätte je etwas anderes vermutet? Es wird damit effizienter weiterhin Strom in der Menge von 1.125 MW Leistung in NRW produziert und es werden wunderbarer Weise 190 000 Tonnen CO2 pro Jahr in NRW eingespart, schwört Prognos. Vorausgesetzt Datteln IV geht wie vorgesehen ans Netz, aber drei alte Dattelner Kraftwerke und drei weitere Steinkohleblöcke in der näheren Umgebung gehen peu à peu vom Netz. Kenner meinen, dass das immer noch bedeutet, dass aus dem Dattelner Schornstein jährlich 6 500 000 Tonnen CO2 in den Äther geblasen werden.
Bis Prognos zu Zahlen für Datteln IV kommt, argumentiert sie allerdings neuartig. Folgt man dieser Argumentation, müsste man eigentlich sagen, dass CO2-Zuschreibungen zu diesem Kohlekraftwerk Datteln IV völlig unerheblich sind, Hauptsache, im europäischen Emissionshandel werden die Klimaschutzziele - weltweite Minderung und nordrhein-westfälische Minderung um 30% bis 2012 - und die Lastenverteilung für CO2-Emissionen in Deutschland - 21% der EU-Lasten - so eingehalten, dass nicht gegen das Kyoto-Protokoll verstoßen wird.
Mehrfach weist das Prognos-Gutachten darauf hin, dass mit Kyoto für die Unterzeichnerstaaten endlich ein Marktmechanismus, der Handel mit Emissionszertifikaten, das alleinige Instrument wurde, um internationale und nationale Klimaschutzprogramme zu erfüllen. Darüber hinaus könne es keine Festlegungen für oder gegen Kohle zur Stromerzeugung, auch keine weiteren quantitativen Emissionsbeschränkungen oder technologischen Vorgaben innerhalb der EU oder der Kyoto-Unterzeichnerstaaten geben, um Klimaschutzziele zu erreichen. Dem Energiesektor in Deutschland wurden für die aktuelle Periode 2008 bis 2012 Emissionsrechte zum Ausstoß von 442,07 Millionen Tonnen CO2 zugeteilt. Damit sollen die Betreiber auskommen. Wer zu viele CO2-Zertifikate hat, kann sie veräußern; wer zu wenige hat, um seine CO2-Emission in die Atmosphäre los zu werden, kauft hinzu. Das ist der etablierte Markt der CO2-Emissionen. Weil hinzu Kaufen aber blöde weil teuer ist, macht jeder Anlagenbetreiber, der am Emissionshandel teilnimmt und teilnehmen muss, sein Kraftwerk so effizient und CO2-gemindert wie möglich. Das ist der Mechanismus. Und weil die Verstromung von Kohle bekanntlich besonders CO2-extensiv ist, liegen da auch große Effektivierungspotentiale. Einschränkungen, etwa durch Emissionsgrenzwerte, sind marktwirtschaftlicher Unsinn bis verboten durch die Etablierung des Emissionshandels als Regulierungsmechanismus nach dem Kyoto-Protokoll.
Die folgenden Schlussfolgerungen stehen nicht im Gutachten: Nach dieser Logik kann kein Staat für die Gesamtheit der Stromerzeugungsanlagen höchste einzuhaltende Grenzwerte für CO2-Emissionen politisch beschließen, weder über noch unter den 442,07 Millionen Tonnen CO2 der Zertifikate. Raumordnungsgesetze oder Regionalplanänderungsverfahren können politische Willensbekundungen und Regulierungen für Stromerzeugungsanlagen in NRW nicht ersetzen, um unternehmerische Aktivitäten zu begleiten bzw. einzuschränken. Keine Betriebsgenehmigung kann auf dem Weg politischer Willensbekundung für Einzelanlagen CO2-Emissionen festsetzen. Die Betreiber oder Erbauer setzen sie fest. Politik und Staat unterhalb des Kyoto-Accords und EU-Vereinbarungen werden auf eine buchhalterische Rolle festgenagelt. Von den Betreibern ist in Zukunft höchstens der Nachweis zu verlangen, dass sie für das Kraftwerk mit einem absehbaren Ausstoß von X CO2-Äquivalenten genügend Emissionszertifikate zugeteilt bekommen oder gehortet haben, um den Neubau zu realisieren. Und man kann den Nachweis verlangen, dass sie Geld genug haben oder problemlos Schulden machen können, um fehlende Zertifikate für das Projekt aus dem deutschen Emissionsbudget hinzu zu kaufen. Politisch und durch die Politik der Umweltverbände geht gar keine zwingende Verringerung der CO2-Emissionen mehr. Was ist aber, wenn politische Ziele in der Form von einer exklusiven Förderung oder überwiegenden Ausweisung der Erneuerbaren daher kommen?
Die Botschaft von Prognos ist aber anders. Politische Handlungsfähigkeit in Sachen CO2-Emissionsreduzierung existiert nicht, politische Zielsetzungen der Gesellschaft werden durch die Zertifikat-Kaufkraft des Kraftwerksinvestors ersetzt. Diese "Einsicht" will E.ON durch Prognos fest im Gehirn der Ruhr-Region verankert sehen. Dies ist der eigentliche Sinn des Gutachtens über die Verträglichkeit des Neubaus von Datteln IV mit den Klimaschutzzielen des Bundes und Nordrhein-Westfalens. Alles andere ist Lyrik.
Das zweite Kerndokument ist der so genannte Umweltbericht des TÜV-Nord, der auf das Datteln-Urteil von 2009 losgeht. Ebenfalls ein aufwändiges und langes Dokument. Es ist eine Urteilsschelte, ohne sich so zu bezeichnen. Schritt für Schritt versucht der Bericht das Urteil zu barem Unsinn zu erklären. Ein Umweltbericht ist er nicht oder nur insofern, als er die Umwelt der Kläger, der Familie Greiwing, und die Lage am Kraftwerksstandort in einer Sichtweise präsentiert, die darauf fixiert ist, das Datteln-Urteil von 2009 als Fehlurteil zu überführen. Das ist eigentlich müßig, planungspolitisch geurteilt, denn das Berliner OVG hat keine Revision zugelassen. Aber natürlich muss ein TÜV-Nord mal aufschreiben können, was im Sinne der Datteln-E.ON-Politik-Connection immer schon mal hätte zum Datteln-Urteil gesagt werden müssen.
Gesagt werden musste nämlich, dass der Dattelner B-Plan den Schutz der Greiwings, von Natur und Landschaft oder die gravierenden immissionsrechtlichen Probleme sehr wohl beachtete, weswegen es fehlerhaft von den Richtern war, dem Plan die Nichtbeachtung vorzuwerfen und ihn einer Gefälligkeitsplanung für die E.ON Kraftwerk GmbH zu bezichtigen. Es wäre die Wirklichkeit eben so, dass das alles gar keiner besonderen Beachtung bedurft hätte. Insbesondere hebt der Umweltbericht des TÜV-Nord hervor, dass das Umfeld am Dattelner Standort durch einen Industriepark Löringhof und durch das angeblich stark städtisch-gewerbliche Umfeld der Meistersiedlung plus dem alten Kraftwerk am Kanal bereits so industriell überbaut und überplant sei, dass ein neues Kohlekraftwerk in nächster Nachbarschaft auch schon nichts mehr an der versaubeutelten Umweltsituation geändert hätte. Im Gegenteil, wenn jetzt ein Waldstreifchen aus dem neuen Kraftwerksstandort heraus verlagert wird, wie der Plan es vorsah, und er weiter ostwärts verlagert wird, wäre das endlich mal ein landschaftlicher Gewinn in dieser trüben Gegend. Verneint wird auch ausdrücklich die erdrückende Wirkung des geplanten 130 Meter hohen Kesselhauses und des geplanten 180 Meter hohen Kühlturms in der Meistersiedlung oder von Greivings Hof oder von anderen nahe gelegenen Hofstellen aus. Da muss schon noch ein Gefühl des eingemauert Seins hinzukommen, sonst ist man nicht richtig erdrückt, meint der TÜV-Nord. In einer Industriegegend muss man solch einen hohen Solitär in der näheren Nachbarschaft schon mal ertragen können. In Castrop-Rauxel Ickern hat sich doch auch keiner durch die Kraftwerksarchitektur erdrückt gefühlt, früher. Oder? Ich würde doch mit einer solchen Argumentation einmal versuchen, in Essen-Bredeney, in Dortmund-Kirchhörde oder in München-Grünwald das nächste große E.ON-Kraftwerk unterzubringen. Ich glaube nicht, dass man dort damit Erfolg haben wird. Dass man sich von der Waltroper Seite aus, aus der offenen Landschaft an der Stadtgrenze heraus, vom halbfertigen Kühlturm schon jetzt erdrückt fühlen könnte, diese Idee würden die Industrieromantiker des TÜV-Nord für absurd halten.
Selbstverständlich sind für den TÜV auch das Nebelgewölk aus dem Kühlturm kein ernstzunehmendes Problem oder eine Emission, die stark eingeschränkt gehört. Schließlich produziert die Verschattung durch den Schwaden des Kraftwerks keine besonders verkürzte Sonnenscheindauer in dieser norddeutschen Tieflandgegend, die sowieso nicht von der Sonne geküsst ist. Alles hält sich im Rahmen der jährlichen Schwankungsbreite natürlicher Sonnenscheindauer. Das glaube ich gern. Einen Trockenkühlturm bauen? Wegen der paar Sonnenstrahlen mehr?
Nicht so ganz einfach konnte es sich das TÜV-Nord-Gutachten anscheinend mit den Klagen und Argumenten der Umweltschützer machen, die auf die unzumutbar durch das Kraftwerk Datteln IV tangierten Fauna-Flora-Habitate der Lippeaue hingewiesen hatten. Das Gutachten versuchte zwar zunächst, die mögliche Schädigung kleiner zu argumentieren, indem es darauf hinwies, dass die FFH-Naturschutzgebiete ziemlich weit weg vom Kraftwerkstandort liegen würden, nämlich meist mehr als 5 Kilometer weit nord-östlich. Dann musste der TÜV-Nord doch zugestehen, dass die erwartbare Menge an Schwefeldioxyd und die Quecksilberfracht aus dem Schornstein von Datteln IV so ganz unschädlich für die Auenwälder an der Lippe bis hin zu den Buchenwäldern der Cappenberger Wälder nicht wären. Würde man die Frachten für beide Stoffe jedoch auf bestimmte, niedrigere Werte herunterbringen, dann sei allerdings das "Erhaltungsziel" der Lippeauenwälder nicht mehr beeinträchtigt. Ich bin nicht sicher, dass die Naturschützer sich mit den vom TÜV-Nord gesetzten Grenzwerten beruhigen lassen. Im Naturschutz gibt es nicht wenige, die eine 0-Emission gerade nach den sehr gut fassbaren Erfahrungen in der Waldstrebendiskussion der 80er Jahre bei Stickoxyden und Quecksilber auch heute noch für notwendig halten. Schon gar wenn Naturschutzgebiete von europäischem Rang bedroht sind.