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Internationale Finanzinvestoren auf deutschen Wohnungsmärkten: Gebremster Lauf - Mieter kämpfen gegen Mieterhöhungen und Herunterwirtschaften von Wohnungen
(9. Juni 2011)
Drei neuere Nachrichten aus der Immobilienwelt.
Die BAFIN, die Bundesaufsicht über die Banken und Finanzmärkte, hat Ende letzten Monats ein förmliches Untersuchungsverfahren beschlossen, das sich gegen den Chef der Gagfah, William Joseph Brennan, richtet. Die BAFIN wirft ihm vor, mit Hilfe von Insiderkenntnissen, also mit illegalen Methoden, ungerechtfertigte Aktiengewinne eingestrichen zu haben, als er Anfang Mai Aktien seines eigenen Wohnungsunternehmens im Wert von 4,7 Mio. Euro verkaufte. Kurz nach dem Verkauf platzte nämlich die Nachricht über die Gagfah herein, dass die Stadt Dresden das Unternehmen verklagen werde. Die Stadt wirft dem Konzern erhebliche Verstöße gegen Mieterschutzregelungen vor und verlangt eine Vertragsstrafe von gut einer Milliarde Euro. Mieterschutzklauseln hatte Dresden beim Verkauf der städtischen Wohnungen an den Internationalen Finanzinvestor Fortress und seinen deutschen Stadthalter, die Gagfah, vereinbart. Der Aktienkurs für Gagfah-Aktien fiel nach dieser Nachricht, was zu erwarten war. Der Kurs fiel noch ein weiteres Mal, als die Vorwürfe der BAFIN öffentlich wurden. Eine Dividende für die Aktionäre wird es in diesem Jahr nicht geben. Schlechte Nachrichten also für Gagfah und für den Mehrheitseigentümer, die Fortress. Gute nur für den Chef, der seine Schäfchen rechtzeitig ins Trockene bringen konnte.
Keine guten Nachrichten auch bei der Deutschen Annington Immobilien, seit 2006 mit ca. 200 000 Mietwohnungen größtes Investorenprojekt auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Dessen englischer Investor, Guy Hands, ließ verbreiten, was er für eine gute Nachricht hielt, nämlich dass es ihm gelungen sei, verbriefte Kredite für die Frankfurter Bestände in der Höhe von ca. 4 Mio. Euro vorfristig umzuschulden, und dass er an der Umschuldung der "restlichen" Kreditschulden für den Kauf der Wohnungen in Deutschland arbeite. Der "Rest" ist aber das Tausendfache, 4,7 Milliarden Euro, die ganz bald, nämlich 2013, fällig sind. Zu deren Umschuldung schweigt er bisher. Denn vermutlich werden sich Banken und Investorenkollegen stärker zieren als 2006, sein Projekt zu finanzieren. Damals saß der Dollar auf den Finanzmärkten noch so locker, dass jedes Risiko für jeden "Immobilienschrott" vom Markt akzeptiert wurde. Und die Annington steckt voll von Schrottimmobilien.
Hands erwähnt auch nicht, dass der gute Ruf der Annington derzeit überall in Deutschland auf dem Spiel steht. Es gibt reichlich negative Berichterstattung. An der Henriette-Fürth-Straße in der Frankfurter Siedlung Goldstein ist z.B. niemand gut auf die Deutsche Annington zu sprechen. Ein Rentner, der 1964 in einen der einst für Postbeamte errichteten Wohnblocks gezogen ist, schimpft auf die Annington: "Die Treppenhäuser vergammeln, Reparaturen werden verschlampt. Die lässt es verkommen." Vor einem neunstöckigen Wohnblock lädt ein freundlicher Mann sein Auto aus. In seiner Wohnung funktioniere die Heizung nicht richtig, berichtet er. "Und wenn der Aufzug kaputt ist, müssen wir vier Wochen laufen, bis jemand kommt." Die derben Flüche eines Imbiss-Besitzers auf "die Annington" sind nicht zitierfähig. Fünfzehn Jahre nach Beginn der Privatisierung reißen die Beschwerden nicht mehr ab. Nun ist die Stadtpolitik aufmerksam geworden. Der Ortsbeirat befasst sich damit. Das weiß schon die FAZ, was aber nicht so gut für Guy Hands und die Deutsche Annington ist.
Die dritte Nachricht könnte unter Finanzinvestoren gefallen. Der Essener Chemiekonzern Evonik, hervorgegangen aus der Ruhrkohle AG, soll noch in diesem Jahr an die Börse gehen. Das hat sie jetzt angekündigt. Eine endgültige Entscheidung darüber werde im Herbst fallen, teilte die RAG-Stiftung als Mehrheitseigentümerin mit. Zu Evonik gehören auch die Immobilienunternehmen Evonik Wohnen und THS. Zusammen haben sie noch die letzten 100 000 Werkswohnungen aus Kohlebergbauzeiten im Ruhrgebiet, die nicht an Finanzinvestoren verkauft sind. Gute, meist modernisierte Bestände. Das wäre ein Schnäppchen für Finanzinvestoren. Es wäre ein Milliardengeschäft. Und Michael Vassiliadis, als Chef der Gewerkschaft IG BCE Mitglied im Kuratorium der RAG, sagte leider nur: "Wir haben nichts gegen einen schnellen Börsengang, er darf aber nicht die Interessen der Mieter tangieren." Eben das würde aber passieren, und zwar in negativer Weise. Seit Monaten laufen die Mietervereine in NRW deshalb Sturm gegen einen Börsengang der beiden Immobilienunternehmen und fordern, dass die RAG-Stiftung das verhindert. Denn schlechte Erfahrungen mit börsennotierten Wohnungsunternehmen à la Gagfah hat man im Ruhrgebiet satt. Finanzinvestoren vernachlässigen ihre Wohnungsbestände Mit steigender Intensität sehen sich Mieter und Mietervertreter mit sozialen und städtebaulichen Folgen der Investorenprivatisierung der letzten 5-8 Jahre konfrontiert. In den Investorenwohnungen von Kiel bis Berlin, Frankfurt und Dresden leben nämlich mehrheitlich Menschen mit niedrigen bis prekären Einkommen. Zum Unglück von Hartz IV im Jahr 2005 kam in gewisser Weise das Unglück des massiven Privatisierungsschubs ehemals gemeinnütziger, öffentlicher und unternehmensbezogener Wohnungsbestände zwischen 2003 und 2006 hinzu.
Durch die Privatisierung wurde die Zahl der ökonomisch sicheren und langfristig erschwinglichen, weil sozial eingepreisten Mietwohnungen schmerzlich verringert, besonders viele in NRW, wo einige kommunale und die großen Werkswohnungsbestände (bis auf Evonic und THS), sowie umfangreiches Wohnungseigentum des Bundes wie des Landes an internationale Private Equity Fonds veräußert wurden. Insgesamt ca. 390 000. Zwar schützen Sozialchartas bei Fortress/Gagfah, Terra Firma/ Deutsche Annington oder Whitehall/ LEG ältere Mieter und Mieterinnen über 65 vor Kündigungen. Zwar wurden auch manchmal Mieterhöhungen auf wenige Prozente begrenzt oder die durchschnittliche jährliche Instandhaltung verbindlich fixiert. Aber der Abzug von Quartiershausmeistern oder betriebszugehörigen Reparaturteams und scharfe Rationalisierungsschnitte der neuen Investoren-Eigentümer bei den Reparaturen, der Grünpflege und der Instandhaltung von Häusern und Wohnungen führten binnen Kurzem zu Leerständen, Vernachlässigung und Standardabsenkung in einem Ausmaß, der von den Mieterinnen und Mietern aus eigener Kraft nicht aufgefangen werden konnte. Mittlerweile haben sich diese Investoren als Desinvestoren erwiesen, die ihre Bestände in aller Regel herunter wirtschaften.
Die vereinbarten Mieterhöhungsgrenzen bei den Investoren haben sich nicht als kraftvoller Mieterschutz erwiesen. War der Mietanstieg, wie bei der Gagfah in Frankfurt etwa, auf 2% für den Durchschnitt des gesamten Bestandes vertraglich vereinbart, ließen sich Mieterhöhungen für Einzelobjekte oder Straßenseiten nicht verhindern. Außerdem gilt die Miethöhengarantie nur für Altmieter. Bei jeder neuen Vermietung kann die Miete beliebig erhöht werden. Bei Mieterbefragungen beschweren sich mittlerweile bis zu 52 Prozent eines Quartiers über Mieterhöhungen. Mieter und Mieterinnen sehen sich in letzter Zeit auch einer Art Mobbing durch Verkaufsaktionen, vorgetäuschte Modernisierung, monatelang stehende Gerüste und auch gelegentlich betrügerische Mieterhöhungsverlangen ausgesetzt. Durch gezielte Vermietung, monatlich oder halbjahresweise, an Arbeitsmigranten und -migrantinnen aus neueren EU-Staaten werden Leerstände aufgefüllt, aber mit einer in der Regel ziemlich armen und saisonalen Bewohnerschaft. So entstehen Quartiere, wo sich die Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen in die Prekarisierung der Wohnverhältnisse hinein fortsetzt.
Fehlende Wohnungen für Hartz IV-Bezieher und -Bezieherinnen
Alles dies findet vor dem Hintergrund einer nicht zu übersehenden Wohnungsnot armer oder prekärer Haushalte statt. Selbst in den Städten von Nordrhein-Westfalen ist das Wohnungsangebot beispielsweise für Hartz IV-Haushalte eher unzureichend. Eine Arbeitsgruppe der NW Bank hat das 2007 herausgefunden. Am schlechtesten ist die Lage in Köln, wo gerade einmal 7 Prozent der angebotenen Wohnungen für 2- und 3-Personen-Bedarfsgemeinschaften und 10 Prozent der Wohnungen für Single-Bedarfsgemeinschaften angemessen preiswert und klein genug sind. In Münster hätten Bedarfsgemeinschaften mit 3 Personen nur 7 Prozent des Wohnungsangebots durch die Sätze der "Kosten der Unterkunft" bezahlen können. In der Landeshauptstadt Düsseldorf finden Haushalte mit 3 und 4 Personen so gut wie nichts. Entspannt ist die Wohnungssuche nur im Ruhrgebiet für 2-Personen-Bedarfsgemeinschaften und bei Bedarfsgemeinschaften mit mehr als 3 Personen. Auf ein passendes Angebot kommen z.B. in Dortmund jeweils 2 wohnungssuchende Bedarfsgemeinschaften. Für Single-Bedarfsgemeinschaften stehen die Chancen aber immer schlecht, ein billiges und bis 45 qm großes Wohnungsangebot zu ergattern. Die Nachfrage ist nämlich wesentlich größer als das Angebot: Auf eine "angemessene" angebotene Wohnung kamen 2007 immer noch fünf Single-Bedarfsgemeinschaften.
Sand im Getriebe der Investoren
Seit dem Freiburger Bürgerentscheid 2006 verzeichnen wir keine spektakuläre Landmarke mehr gegen Wohnungsprivatisierung durch Finanzinvestoren. Aber es gibt auch keine spektakulären Aufkäufe mehr. Der Kollaps der Finanzmärkte hat einen Anteil daran. Ob die Veräußerung der Evonic- und THS-Wohnungen zum Deal wird, ist offen. Am 5. Juli wollen sich alle Mieterinitiativen des Ruhrgebiets in Essen treffen und eine Tagung "Vernachlässigte Viertel" abhalten. Sie werden sicher auch über THS- und Evonic-Wohnungen sprechen und darüber, was die RAG-Stiftung jetzt nach Meinung der Mieterinitiativen zu hätte.
Qualifizierten Widerstand gegen die Investoren im Wohnungsmarkt gibt es jetzt überall. Die offenen Arme, mit denen sie früher empfangen wurden, sind deutlich weniger geworden. Die Hans-Böckler-Stiftung des DGB ließ eine Studie über ihr Treiben durchführen. Sie fiel kritisch aus. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Sozialen Brennpunkte in Niedersachsen wird ebenfalls eine kritische Studie erstellen. Der Deutsche Mieterbund wird auf seinem Mietertag in der Woche nach Pfingsten Stellung beziehen, Kommunen, Bund und Länder auffordern, aus dem Desaster der Privatisierung der letzten 10 Jahre zu lernen. Er fordert: "Jetzt ist eine konzertierte Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen erforderlich, um die bereits eintretenden Folgen und die noch drohenden Konsequenzen der Ausverkaufswellen des vergangenen Jahrzehnts zu bewältigen." Und es gibt die Klageschrift der Stadt Dresden gegen Gagfah/Fortress, die diesen so schwer im Magen liegt, dass Dresdens Finanzbürgermeister Hartmut Vorjohann den Aufsichtsrat der Gagfah-Tochter Woba Dresden verlassen soll. Dem CDU-Politiker Vorjohann wirft Gagfah einen Interessenkonflikt vor: Er habe die Klage gegen die Gagfah mit vorangetrieben. Die Stadt sei gebeten worden, ihren Sitz mit einer anderen Person zu besetzen. Ordentlicher Schwung im Geschäft sieht anders aus.