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Krise als Konzept III - der Normalzustand neoliberaler Wohnungsökonomie
(17. Dezember 2015)

Was ein neoliberaler Kapitalismus auf deutschen Wohnungsmärkten an Übeln produziert, habe ich den beiden ersten Teilen meiner Serie zur aktuellen Wohnungspolitik in Deutschland an Beispielen deutlich gemacht. Stellen sich auch darüber hinaus gehende Begriffe ein? Mit "Währung Wohnung" machte Jörg Hätzschel in der Süddeutschen Zeitung einen ökonomischen Versuch1). Denn "dass der Bezirk den Rentnern ihre Begegnungsstätte wegnahm, war ja kein singulärer Akt eines hartherzigen Verwaltungsbeamten, sondern ein Folge dessen, was hier (das meint eine Konferenz (zur "Wohnungsfrage" im Berliner Haus der Kulturen der Welt, d.Vf.) mal Ökonomisierung, mal Finanzialisierung2), mal comodification des Wohnens genannt wurde. Wohnungen sind eine Anlageform geworden, sie sind die ‚neue Währung der Welt', wie eine Immobilienfirma jubelt. Sie werden von Investmentfirmen gekauft und weiterverkauft und in Fonds gepackt, in die Kleinanleger investieren. Ihre Funktion als Lebensort zählt da immer weniger". Befeuert wurde diese Entwicklung, so Hätzschel weiter, "durch den Rückzug des Staates. Überall in der Welt sind seit den Achtzigern Sozialwohnungen auf den Markt geworfen und Mietbeschränkungen aufgehoben worden. Der Markt schluckte sie gierig - doch zur Lösung des Wohnungsproblems trug er nicht bei." Und dann zitiert er zustimmend Andrej Holm, der für diese Entwicklung den Begriff "Marktekstase" prägte3). Aber leider ließe sich das Wohnungsproblem und der Wohnungsmangel und das Problem der hohen Mieten "nicht befriedigend lösen", fährt Mätzschel weiter fort, "noch ändere sich etwas an "der vom Markt diktierten Reduktion dessen, was Wohnen und Leben sein könnte. Handeln könne man dennoch". Stimmt das? Ich werde darauf weiter hinten ausführlich zu sprechen kommen. Es gäbe doch Vorbilder und Experimente genug für ein gemeinschaftliches und kollektives Bauen in der neueren Geschichte des Wohnens, meint Hätzschel. Was er dann von den "Mikrobrigaden" Kubas, den "Muskelhypotheken" der DDR oder Portugals in der Zeit der Nelkenrevolution nennt, zeigt längst nicht alles an gemeinschaftlich agierenden Wohnprojekten, nicht einmal erfolgreiche deutsche Projekte scheint Hätzschel zu kennen.

Die Finanzialisierung des deutschen Miethäusermarktes

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das, was manche als Finanzialisierung des Miethausmarktes bezeichnen, eine dominante Sonderentwicklung der privaten Wohnungswirtschaft Deutschlands seit dem Jahr 2004 ist. Es ist eine jetzt nahezu abgeschlossene nachholende Normalisierung und Anpassung an Standards und Praktiken der anglo-amerikanischen Investementbanken in der Häuser- oder Wohnungsfinanzierung, die Wohnungen ihres kulturellen und sozialen Wertes zu entkleideten und in nackte Finanzprodukte verwandelten. In dieser ersten Welle von Normalisierung gelang es den Investment-Banken und den internationalen Private-Equity-Kapital-Anlegern eine dominante Rolle zu spielen. Es folgte die zweite Normalisierungswelle, eine Konzentration von Mietwohnungen in der Hand von immer weniger privaten Bewirtschaftungsgesellschaften. Ende 2015 schickte sich die Vonovia AG an - ein ursprünglich unter dem Namen Deutsche Annington in den deutschen Mietwohnungsmarkt eingestiegener Private-Equity Fonds der Nomura Bank, die Aktien der Deutsche-Wohnen AG aufzukaufen, um damit die AG feindlich zu übernehmen. Gelänge dies, könnte die Vonovia AG 500 000 deutsche Mietwohnungen, meist in Großstadtlagen, bei sich konzentrieren.

In Deutschland war innerhalb dieser doppelten Normalisierung in der privaten deutschen Wohnungswirtschaft die Zulassung von englischen und USA-Finanzmarktakteuren und Finanzmarktprodukten auf den deutschen Kapitalmärkten um 2004 herum das politische Schlüsselelement. In den USA wurden schon in den 1980er Jahren Hauskredite verbrieft, was sie im Innerbankenhandel verkaufbar und kaufbar machte. Verbriefte Einzelkredite wurden nach der Bonität der Hypotheken oder ihren Risiken und nach der Qualität der Hausbestände neu zusammen gepackt und dann an Investoren oder Investoren-Konsortien verkauft. Damit wurde das Entstehen sekundärer Hypothekenmärkte begünstigt4). Der Kreditaufwand für jede Transaktion wurde - wie das Risiko - weltweit gestreut und ausgelagert, beseitigte aber die Ursachen des Risikos selbst natürlich nicht. Als bei stark einsetzendem Anstieg des Zinsaufwands und Tilgungsaufwands für die Kreditnehmer die Finanzierung von Hauskrediten in den USA massenhaft zusammenbrach, weil der Aufwand wegen Verdienstausfällen nicht mehr aufgebracht werden konnten, brach weltweit die Finanzmarktkrise 2007-2008 aus und, was ich wesentlich dramatischer finde, es wurden massenhaft Zwangsversteigerungen der Häuser oder Wohnungen kleiner, finanzschwacher US-amerikanischer Eigentümer veranlasst5), worauf "in Städten wie Cleveland, Baltimore und Detroit infolge der vielen Zwangsvollstreckungen ganze Stadtviertel verwaisten."6)

In Deutschland wurde 2005 dieser anglo-amerikanische Banking-Modus erstmals für den Verkauf des Werkswohnungsbestands der westdeutschen Energie-Industrie von ca. 137.000 Wohnungen genutzt. Damals trugen die Eigentümer dieses großen Mietwohnungsbestands den Namen "Viterra. Viterra wurde an eine Private-Equity Gesellschaft mit dem Namen Terra Firma oder später Deutsche Annington genannte Fondsgesellschaft veräußert und damit auch prominent bekannt7). Dieser große Verkauf ereignete sich mitten in der ersten großen Privatisierungswelle ehemals öffentlich geförderter und oft auch von öffentlichen Händen besessenen Beständen Wohnungsbestände in Deutschland. Beides zusammen, die umfangreiche Privatisierung ehemals von öffentlichen Körperschaften bewirtschafteten Mietwohnungen - wir schätzten sie einmal auf 800.000 bis 1 Mio. Wohnungen - und der umfangreiche Kauf durch Finanzmarkt Fonds veränderten die wohnungspolitische Situation in Deutschland tiefgreifend.

Soziologie der Private Equity Finanzialisierung

Es ist eigentlich naheliegend anzunehmen, dass diese Wohnungen auch nach ihrer Privatisierung von überdurchschnittlich vielen Menschen in eher unteren bis schwierigen Einkommensverhältnissen bewohnt werden. Ich konnte es zumindest für sieben Siedlungsgebiete in Dortmund nachweisen8). Ebenso auffällig war schon damals, dass in den Private Equity-Beständen Baumängel und Instandhaltungsdefizite häufig waren, aber nicht abgestellt wurden, sondern zunehmend von Mieterinnen und Mietern beklagt wurden und es immer noch werden. Von einer systematischen, zeitgemäßen Modernisierung kann in den meisten dieser Wohnungsbestände keine Rede sein9). Wurde instandgesetzt oder modernisiert, dann wurde im Gegenzug Service-Personal lokal abgezogen, saisonal oder überhaupt verringert. Es folgten Versuche zur Erhöhung der Mieten oder der Nebenkostenabrechungen. Die Mailinglisten der Mietervereine im Deutschen Mieterbund sind voll von diesen üblen Geschichten. Die Finanzialisierung der Wohnungen durch die neuartigen Kreditierungs- und Bankingmethoden in den Private Equity Märkten endete meist in Börsengängen einer neuen, immer exotischer benannten Wohnungsfirma, war damit aber in der Wirkungskette nicht an ihr Ende gekommen. Sie wirkte soziologisch als Mittel der Prekarisierung von Mietern und Mieterinnen, als Mittel ihrer weiteren Verarmung bis hin zu ihrem Ausschluss aus bürgerlicher Wohnsicherheit. Wenn der "Vonovia AG" die feindliche Übernahme der "Deutsche Wohnen AG" gelingt, wird sie 500.000 Wohnungen besitzen. Wie kann sie damit anders umgehen als eine Fabrik zur Herstellung von beispielsweise Boxer-Sorts oder einer Firma zur Erstellung von Autoteilen oder von Fahrkarten über Internet bei der Deutschen Bahn oder bei Usern von Google, deren Produktion nur noch über Kennziffern zu organisieren und zu steuern ist und die Kunden von der weiteren Bestellung nach einer Zahl X von unbezahlten Diensten, Produkten oder Bestellungen ausschließt, und einem Inkassobüro übergibt, egal, ob die Dienste, Produkte oder Bestellungen benötigt werden, lebensnotwendig sind oder nicht? Eine Wohnung ist aber absolut lebensnotwendig.

Dass Wohnungen und Häuser in einem ökonomisch organisierten Umfeld hauptsächlich und unvermeidlich Geldanlagen sind, die sich in Wohngelegenheiten verwandeln, durch Kredite auf die Beine gekommen sind, mit zusätzlichem Geld erhaltet werden müssen, sich aber auch wieder irgendwann wieder zu Geld zurück verwandeln werden, ist gern als nicht so bedeutsam beiseite geschoben worden. Man kann beim Wohnen kleinere familiäre oder soziale Projekte mit Empathie und Solidarität, mit einer Genossenschaft, Leihen und Schenken und vielleicht mit Hilfe einer deutschen Bausparkasse hinkriegen. Größere Wohnungsbestände waren schon immer auf Garantiekapital oder Zuschüsse einer großen Genossenschaft, eines Unternehmens oder einer öffentlichen Körperschaft und des politischen Staates oder der politischen Kommune angewiesen. Nun veränderten sich für Deutschland die Finanz- und Kreditmärkte. Nicht mehr eine deutsche Sparkassen, eine Pfandbriefanstalt oder eine Landesbank bestimmten den Kreditspielraum für Wohnungsbau und Wohnungskauf. Es waren urplötzlich angelsächsische Institute vom Typ Barclays Bank oder Goldmann-Sachs und eine große Zahl von Schattenbanken, die für die Anleger bei Einkäufen und Aufkäufen von Wohnungen im großen Stil günstige Konditionen zu organisieren in der Lage waren.

die Private-Equity Übernahmen in einem strategisch gewichtigen Umfang im Miethäusermarkt, und zwar im preiswerten Segment wird nun durch Mieterhöhungen und Ausweitung der Nebenkostenprofile, Nebenkostenerhöhungen und durch die Vernachlässigungsroutinen der neuen Eigentümer aus dem internationalen Finanzmarkt aufs intensivste an der Herausbildung einer neuen Underclass oder eines Subproletariats für Deutschland gearbeitet, das Mieten und sonstige Kosten einer Wohnung gewöhnlich nicht mehr aufbringen kann und nur noch durch soziale Grundsicherung und die staatlichen Mietzuschüsse überlebt. "Exklusion gehört zum Kerninventar gesellschaftlicher Entwicklung" resumierte Andreas Willische 2008 die Debatte um die damals in Deutschland historisch wieder deutlich gesellschaftlich sichtbaren "Überflüssigen"10).

Neoliberale Globalisierung - aus Krisen geboren in Krisen mündend

Wie Georg Auernheimer in einer kürzlich erschienen kleinen Zusammenfassung seiner Studien zur Geschichte der Globalisierung, einem möglicher Weise sinnvoll zusammenfassenden Begriff für ein neues Stadium kapitalistischer Entwicklung, schrieb, lassen sich die Essentials der neueren Entwicklung des Kapitalismus als ein Regulierungs- und Krisenmechanismus bezeichnen und datieren: "Fast gleichzeitig mir dem Ende der Blockkonfrontation im Jahr 1990 wurde der Washington Consensus verabschiedet, das neoliberale Programm für die Zukunft der Weltgesellschaft. Es beinhaltete vier Essentials neoliberaler Politik: Abbau nationaler Schutzschranken für Warenhandel und Kapitalverkehr, generelle Liberalisierung der Märkte, speziell der Finanzmärkte. Austerität und Privatisierung öffentlicher Dienste, arbeits- und sozialrechtliche Deregulierung"11). Technisch vollendet wurde das heutige Stadium der Globalisierung nach Auernheimers Meinung um 1990 mit dem Hypertext Transfer Protokoll und dem Aufbau des World Wide Web, in der alle Arten von Text, Bild und Tonträgern in einem einheitlichen digitalen Code gespeichert und übermittelt werden können. Was die Finanzialisierung der Weltwirtschaft angeht, die ich als den ökonomisch bestimmenden Kern der Globalisierung neueren Zuschnitts ansehe, lässt sich kurz so beschreiben: "Auf den Finanzmärkten sind dank IT Transaktionen... in Bruchteilen von Sekunden möglich geworden. ... Dieser Hochfrequenzhandel auf der virtuellen Börse vernetzter Computer macht den Markt äußerst volatil. Die weltweiten Finanzströme sind unkontrollierbar geworden. Die politisch gewollte Deregulierung hat die Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte verschärft. Deregulierung umfasst erstes die Liberalisierung des außerbörslichen Handels zwischen institutionellen Anlegern, also Versicherungen, Investmentgesellschaften und Fonds. Dadurch, dass zumindest den großen Konzernen die ganze Welt als Operationsraum zur Verfügung steht, werden Staaten in den Wettbewerb um attraktive Verwertungsbedingungen getrieben. Zweitens entrichten transnationale Unternehmen ihre Steuern dort, wo die Besteuerung niedrig oder nachlässig ist, wenn sie überhaupt Steuern zahlen. Die dritte Beschränkung staatlicher Steuerungsmöglichkeiten ist den Finanzmärkten geschuldet. Währungsspekulation kann Staaten in eine Schieflage bringen. ... Staaten mit Haushaltsdefiziten werden oft wegen der hohen Zinsen mit spekulativem Kapital überhäuft. Sobald die Anleihen von Ratingagenturen herabgestuft werden, gerät der Staat in einen Abwärtsstrudel. Siehe Griechenland!12) Politische Steuerungsmöglichkeiten scheinen also sogar im internationalen Maßstab unwirksam geworden zu sein. Sie werden aber auch in lokalen Zusammenhängen und in alternativen gesellschaftlichen Perspektivräumen um die Chancen einer eigenständigen oder sozial verantwortlichen Entwicklung gebracht, erstens dadurch, dass sie von den neoliberalen Akteuren und ihrem Agendasetting bestimmt oder auch bekämpft werden, und zweitens dadurch, dass sie von innen her durch Kompromisse mit der hegemonialen neoliberalen Weltordnung untergraben werden. Niemand kann so recht die Attraktivität dieser relativ hässlichen Ordnung der Welt erklären, die sich mit den "Revolutionen" um 1989 herum auch in den ehemals sozialistischen Staaten Europas und etwas später in Vietnam und China durchsetzte.

Wem die eher holzschnittartige politische Ökonomie der neoliberalen Revolution zu kurz gedacht daherkommt, der sollte unbedingt die Geschichte des neoliberalen Europa von Philipp Ther neben diesen Text legen, um zur Kenntnis zu nehmen, unter welchen Widersprüchen, politisch organisierten Schocktherapien oder sozialen Ausnahmeregelungen und sozialen Abfederungen für eine Liberalisierung der Märkte und die Privatisierung von Staatseigentümern und für die neoliberale Wende in Europa gekämpft wurde. Keine der nationalen Entwicklungen ist wie die andere, das lernt man bei Ther. Was in Polen mit dem revolutionären Ausstand der Gewerkschaft Solidarnoz begann, 1989 mit einer 640 Prozent-Inflation nahezu in eine ökonomische Katastrophe überging, endete wenig später unter dem Finanzminister der nicht mehr kommunistisch geführten Regierung, Leszek Balcerowicz. Sein "Balcerowicz-Plan" begrenzte die Inflation auf 60%, konfiszierte 2013 die Staatsanleihen in die privaten Rentenfonds und wandelte alle Renten in freiwillige Vorsorge um, die im Prinzip so funktioniert wie die deutsche Riester-Rente. In der Weltfinanzkrise 2007/2008 reagierte Polen (wie die Slowakei) jedoch mit eindeutig keynsianistischen Interventionen wie mit der Ausweitung von Staatsausgaben, verließ den neoliberalen Pfad und nahm dafür Bugetdefizite von über 7 Prozent in Kauf13). Zugleich drückte seine Arbeitsmarktpolitik aber viele monatlichen Einkommen unter 100 Mark, was zweifellos in erheblichem Umfang persönliche Einkommenskrisen in der polnischen Bevölkerung auslöste.

Mit der deutschen Wiedervereinigung setzte ein munteres Durcheinander im neoliberalen ökonomischen Instrumentenkasten ein, das sich in der Weltfinanzkrise auf die gesamten osteuropäischen Staaten ausdehnte. Die zeitweilig zweistelligen Wachstumsraten der postkommunistischen Länder wurden durch ein ebenso kräftiges Minuswachstum abgelöst. Alle inklusive der sog. Neuen Bundesländer Deutschlands machten eine tiefere Rezession durch als z.B. Gesamtdeutschland oder Österreich. In Deutschland wurde durch die Abwrackprämie für alte Autos, also eine klare Staatssubvention oder durch Kurzarbeit (und Kurzarbeitergeld) die Arbeitslosigkeit abgefangen. Das stabilisierte die Wirtschaft.14) Schier unendlich ist die Liste der gegen das neoliberale Credo verstoßenden Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftsleistung der Neuen Bundesländer wie die Investitionen zur Stadterneuerung und Stadt- und Verkehrsinfrastruktur schon unter Helmut Kohl und seinen Nachfolgern. In der deutsch-deutschen Währungsunion ließen Helmut Kohl und sein Finanzminister eine Schocktherapie für die ehemalige DDR-Wirtschaft ihren Lauf nehmen, obwohl sie beide keine erklärten Neoliberalen waren. Der Schwarzmarktpreis für die DDR-Mark fiel dramatisch auf bis ein Verhältnis von 7:1 für eine DM-West Ende 1989, Geldvermögen ab 2000 Ostmark aufwärts wurde jedoch im Verhältnis von 2: 1 oder 3:1 getauscht.15) Und der Wechselkurs für Löhne und Gehälter, Mieten und Nebenkosten wurden im Vertrag für die Währungsunion sogar auf ein Verhältnis von 1:1 festgelegt, eine politisch und keinesfalls wirtschaftspolitisch getroffene Entscheidung. Denn 1990 sollten die ersten gesamtdeutschen Wahlen stattfinden. Diese wollte die Helmut Kohls CDU gewinnen und tat es auch. Die DDR-Wirtschaft aber musste hinnehmen, dass ihre Produktion in der Konkurrenz mit der westdeutschen ohne wenn und aber mehr oder weniger unter ging.16) Sie erlebte innerhalb weniger Jahre einen Einbruch auf 27% des Wertes von 1989. Dies zwang viele DDR-Bürgerinnen und -Bürger zur Migration in die Bundesrepublik. Die Gehälter und Mieten in den Neuen Bundesländern im Niveau der 1:1 Währungsparität bezahlte letztlich der deutsche Steuerzahler durch eine Steuererhöhung, die als "Solidaritätsabgabe Deutsche Einheit" daher kam.

Die Kommunikation des Neoliberalismus schaffte es dennoch, in der internationalen Wahrnehmung die zeitweiligen nationalökonomischen Erfolge, und nur diese zu thematisieren. Ökonomische Krisen erscheinen nicht als systemisch. Krisen, die man überstanden hat und die negativen Nebenwirkungen neoliberaler Wirtschaftstätigkeit, Wirtschaftskriminalität, Armut, schärfere räumliche Disparitäten der Wohlstandentwicklung, auch die Krise der griechischen Staatsfinanzen, zunehmendes Arbeitslosen- und Migrantenelend aller Orten, all das hat nur Nachrichtenwert. Gesucht und gefunden werden technische und Management-Lösungen. Wie kann unter diesen Bedingungen das Scheitern einer Repolitisierung der Wohnungsfrage verhindert werden? Wenn es noch nicht einmal über die Thematisierung der Wohnungsfragen für Millionen wohnungsloser Flüchtlinge gelingt, ihre Repolitisierung auf den Weg zu bringen, wie ich das am Scheitern der Süddeutschen Zeitung gezeigt habe? Oder kommt bei jeder Repolitisierung heute nur abgestandener, kalter Kaffe oder Unsinn heraus? Ist sie auch unterhalb der Forderung "Bezahlbarer Wohnraum für alle" möglich? Und sinnvoll?

Anmerkungen

1) Hätzel, Jörg (2015): Währung Wohnung, in Süddeutsche Zeitung Nr. 247 vom 27.10.2015, p. 12
2) Eine frühe Information über die Finanzialisierung der Wohnungswirtschaft in den USA, über ihre Krise, die die Weltfinanzkrise 2007/2008 auslöste, verdanken wir in Deutschland Kofner, Stefan (2008): Die Hypotheken- und Finanzmarktkrise
3) Siehe auch weiterführend Holm, Andrey Hrsg. (2014): Reclaim Berlin. Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt, Berlin
4) Harvey, David (2013): Rebellische Städte, Berlin, p. 43
5) vgl. dafür auch Lutz, Manuel (2015): Uncommon Claims to Commons: Homeless Tent Cities in the US, in: Delenbaugh, Mary und andere Hrsg. (2015): URBN COMMONS: Beyond State and Market, Gütersloh, Berlin, Basel, p. 101-116
6) Harvey (2013), p. 44
7) Rohmert, Werner (2006): Denkstrukturen von Opportunity Funds am Beispiel Terra Firma und E.on/Viterra, in: Rottke, Nico B.; Rebnitzer, Dieter W. (Hg) Handbuch Real Estate Private Equity, Köln. 621-633
8) Müller, Sebastian (2012): Wo wohnen prekär wird, Dortmund 2012, Tabelle 11, p. 50. Wegen geringer Forschungsmittel konnte ich überhaupt nur Wohnungsbestände in einer einzigen deutschen Großstadt, nämlich Dortmund, genauer untersuchen, davon wiederum nur 10 Siedlungen, von denen ich wusste dass sie von Private-Equity- Unternehmen aufgekauft worden waren, durch ein Übereinanderlegen von Daten der städtischen Einwohnerstatistik und Daten der Arbeitsmarktstatistik analysieren.
9) Einen eher unzulänglichen Beitrag zu den Geschichten der Verweigerung von Instandsetzung konnte ich mit anderen für die Stadt Bochum und seinen Mieterverein schreiben mit: Krämer, Martin und andere (2009): Licht und Schatten. Mieterprivatisierung, Mehrfachverkäufe und Finanzinvestoren
10) Willisch in: Bude, Heinz, Willisch, Andreas (2008): Exklusion. Die Debatte über die "Überflüssigen, Frankfurt, p. 310
11) Auernheimer, Georg (2015): Mehr als ein Schlagwort. Über die Geschichte der Globalisierung, in: Forum Wissenschaft 3, September 2015, Marburg, p. 53
12) derselbe, p. 54-55
13) Ther, Philipp (2014): Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent, Berlin 2014, p. 246
14) derselbe, p. 10
15) derselbe, alle Zahlen auf p. 95, 96
16) derselbe, p. 97