PlanungsPolitik-Forschung

Stadt + Gesellschaft verstehen + Planungspolitik gestalten

Kommentare

Weltwirtschaftskrise 2008, Neoliberalismus und Deutsche Annington
(27. März 2020)

Der freie Markt ist eine Fiktion. Das zeigte sich 2008 deutlich, als die Weltwirtschaft in eine tiefe Krise schlidderte, an der die Immobilienwirtschaft maßgeblich beteiligt war. Es wurde so getan, als hätten sich die Staaten verschuldet, obwohl es die Banken waren, zunächst die in den USA und in Großbritannien, die Massen nicht gedeckter Kredite an insolvente Hauskäufer unter abenteuerlichen Phantasienamen vergeben hatten. Wenig später war der Traum vom Wohneigentum schon aus. Die Käufer wurden enteignet und aus den Wohnungen oder Häusern geworfen. Der Staat übernahm Restschulden, stopfte die Löcher, rette die Hypothekenverkäufer gerissen hatten und die Banken, die sie auf Kundenjagd geschickt hatten. Es waren Milliardenbeträge. Glücklicher Weise zog die Weltkonjunktur nach einer kurzen Depression wieder an, so dass sich der Mantel des Vergessens schnell über diese Krise decken konnte und sich neue Felder der kapitalistischen Investition auftaten. Darunter war auch die Privatisierung der sozialen und kommunalen Wohnungsbestände in Deutschland. Allerdings musste sich erst ein Massengeschäft für Immobilienkredite entwickeln. Zinszahlungen für externes Eigenkapital mussten steuerlich absetzbar werden. Aus einem konkreten Haus oder einer konkreten Wohnung musste ein Finanzprodukt werden, eine breite Anlagenklasse, die der Real Estate Private Equity Fonds. An der Börse als Aktien gehandelt, brauchten Anleger nur eine dünne Eigenkapitalquote, um mitzuinvestieren. Und Banken und Schattenbanken mussten sich entwickeln, die damit handelten und in Preiskategorien übersetzten und die Risiken des Bösenkurses und Handels unerheblich fanden. Es dauert ein bisschen, bis es in Deutschland so weit war.

Überraschend in der Geschichte der deutschen Immobilienökonomie war aus heutiger Sicht das Jahr 2003, das Jahr, in dem das Immobilienunternehmen Viterra, das man für stock-konservativ halten könnte, weil es bis zu diesem Jahr 2003 nur die Werkswohnungen der Kohle-, Stahl- und Energiewirtschaft des Ruhrgebiets bündelte und so einigermaßen ein Schuss hielt. Viterra trat jedoch als Schleuserin von Immobilien-Kapital in Real Estate Private Equity auf, also als Pionierin für reine Finanzmarkt-Papiere. Sie kaufte ein Paket von Hypotheken, in dem 72 Prozent Anteile am Wohnungseigentum der Bundesrepublik, 13,7 Prozent Anteilen des Bundslands Hessen und ca. 14,3 Prozent Anteilen der Stadt Frankfurt waren. Sie tauften das Paket, das sie erwarben, "Frankfurter Siedlungsgesellschaft GmbH & Co KG", die 8.484 Wohnungen repräsentierten. Es war, wie wir heute wissen, ein kleiner Test mit REPE. Der Ernstfall trat ein, als Viterra beziehungsweise E.oN 2004 und 2006 ihre 137.000 Werkswohnungen in REPE-Papiere umwandelte und an Terra Firma bzw. die Deutsche Annington und heutige Vonovia für 6,5 Milliarden Euro verkaufte und damit zur größten deutschen privatwirtschaftlich geführten Wohnungsgesellschaft machte.

Ein Nachwort in Corona-Zeiten. Der Mietgigant Vonovia schaltete am 23. März 2020 auf den Corona Modus. Er teilte mit: Eigentlich geplante Wohnungsbegehungen wurden abgesagt, Kündigungen und Räumungen ausgesetzt. Eigentlich, so schrieb Vonovia in einer Pressemitteilung, wollte Vonovia Hunderte Wohnungen besichtigen, "um so die Merkmale zur Einstufung in Mietspiegel zu erfassen". Dazu hätten Techniker in die Wohnungen gemusst - alles abgesagt. Auf Zahlungsschwierigkeiten würde "individuell" reagiert, Kündigungen und Räumungen sind abgesetzt. "Zur Zeit rufen wir verstärkt Mieter, die älter als 70 Jahre sind, an und erkundigen uns, ob wir beispielsweise bei Einkäufen behilflich sein können", so ein Sprecher von Vonovia. Außer den angebotenen Einkaufsdiensten ist das Angebot der Vonovia mittlerweile ein Vorgriff auf die aktuelle Gesetzeslage für alle Verbraucher und Verbraucherinnen. Der Artikel 240 zu vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie organisiert genau dies und nichts anderes. Mieter können danach Leistungen - und das sind Zahlungen - verweigern, wenn sie für eine angemessene Daseinsfürsorge an anderer Stelle erforderlich sind.